Als Reaktion auf den Brandbrief der Intensivpflegenden erkundigte sich der WDR Ende Februar einmal mehr nach der Situation am Universitätsklinikum Münster (UKM).
"Wir haben Arbeitsbedingungen, die uns krank machen und unsere Patienten gefährden", sagte Fachkrankenpfleger und Praxisanleiter Jorit Meyer vor der Kamera (zwai berichtete).
Dass patientengefährdende Zustände in der Klinik herrschen sollen, will naturgemäß kein Vorstand stehen lassen. Der Beitrag in der WDR-Lokalzeit Münsterland hätte sich jedoch vermutlich versendet, hätte sich das Klinikum für eine weniger drastische Sanktion entschieden.
Die Reaktion des Vorstands beschreiben Kolleg*innen in einem von ver.di veröffentlichten Brief:
"In der Folge mussten einige von uns miterleben, wie ein geschätztes Mitglied unserer Gruppe über mehr als eine Woche hinweg massiv unter Druck gesetzt und letztlich außerordentlich und fristlos gekündigt wurde".
Die Pflegenden "sehen nach wie vor keine ernstzunehmenden Eingeständnisse seitens des ärztlichen und kaufmännischen Vorstandes" und rufen dazu auf, weiterhin Überlastungen und Gefährdungen anzuzeigen. Im vergangenen Jahr soll es bereits 2500 solcher Überlastungsanzeigen am UKM gegeben haben.
Die Gewerkschaft ver.di hat Kündigungsschutzklage gegen die Uniklinik eingereicht. Das UKM äußert sich zu dem laufenden Verfahren nicht.
Zuvor galt Jorit Meyer als "UKM-Gesicht", trat in zahlreichen Social Media-Postings der Unternehmenskommunikation auf und war zentrale Figur in der kabeleins-Serie "Die Klinik".
Jorit Meyer in der Kabel Eins-Serie "Die Klinik" (Screenshot: kabeleins.de)
Doch derweil ist davon nur noch wenig übrig: in ihren sozialen Kanälen löscht die Klinik Postings mit Meyer, während der Kaufmännische Direktor Christoph Hoppenheit sich seinerseits "aus gegebenem Anlass" per Videostatement im Intranet an die Beschäftigten wendet.
Hoppenheit erklärt, der Vorstand begrüße "die politische Arbeit von Menschen am UKM, die das Ziel haben, die Arbeitsbedingungen für uns hier im Krankenhaus, aber auch in anderen Häusern zu verbessern".
Würden die Beiträge allerdings dahingehen, dass man "mit falschen Behauptungen und mit falschen Aussagen in der Öffentlichkeit die Arbeit der hier tätigen Menschen schlecht macht und die Qualität der Patientenversorgung in Frage stellt", sei für den Vorstand eine Grenze erreicht, deren Überschreiten er nicht akzeptiere. Hoppenheit betont, "natürlich weiterhin den intensiven Dialog gerade mit den Pflegenden fortzuführen mit dem Ziel, noch mehr Verbesserungen zu erreichen."
Im Vergleich zu anderen Häusern, insbesondere zu den Universitätsklinika sieht der Vorstand das UKM hinsichtlich der Personaldecke auf einem "sehr guten Niveau" und kündigt " weitere Maßnahmen, die zu weiteren Verbesserungen im Alltag führen werden" an.
"Ich habe hiervor noch nie Interviews mit weinenden Menschen geführt" twittert Marina Weisband zu ihren Gesprächen mit Pflegenden am UKM. In der daraus entstandenen Kolumne für RUMS beschäftigt sich Weisband ausführlich mit dem Fall und bringt weitere digitale Verwischungsversuche des UKM ans Licht.
So vermeldete die UKM-Pressestelle im Januar den Kategorie-Sieg "Arbeitgeber Nummer eins im Bereich Gesundheit und Soziales“ in einer Umfrage von Stern und Statista. Die Pflegenden hingegen mochten die Auszeichnung nicht so recht mitfeiern - wer an der Umfrage tatsächlich teilgenommen hatte, ließ sich nicht ermitteln. Zahlreiche widersprechende Kommentare auf dem dann rasch gelöschten facebook-Posting waren die Folge.
Einen ähnlichen Fall gab es im Dezember 2020 in Hamburg: Romana Knezevic, Krankenpflegerin und Betriebsrätin an der Asklepios Kliniken Hamburg GmbH wurde nach einem Interview im Hamburg-Journal des NDR gekündigt. Nach wochenlangen Protesten nahm Asklepios die Kündigung schließlich zurück.
Auch hier wurde der Streisand-Effekt lehrbuchmäßig durchexerziert: Der ursprüngliche Medien-Beitrag wäre vermutlich wenig beachtet worden, doch durch den Versuch, die unliebsame Aussage mit aller Macht zu unterdrücken, wurde erst recht öffentliche Aufmerksamkeit erzeugt.