Eine subjektive Analyse

Inhalt

Der Autor Ulrich Kaspar hat sich subjektiv mit dem Thema Gespräche mit Patienten und deren Angehörigen auf der Intensivstation auseinandergesetzt und einige Thesen dazu niedergeschrieben.
Kaspar hält es für äußerst wichtig, zu sensibilisieren und schließt das Pflegepersonal mit ein. Häufig sind Pflegende auch Anwalt der Patienten und können, sollen und müssen sich in seinem Interesse mal einmischen. Nur gemeinsam - Ärzte, Pflegende, Seelsorge, Patient und Angehörige - kann das Ziel erreicht werden und das sollte vom Patienten bestimmt werden

Die theoretischen Grundlagen (diverse Kommunikationsmodelle, Klientenzentrierte Gesprächsführung von Carl Rogers) setzt er als bekannt voraus, bezieht sich jedoch auch nicht direkt auf sie.

Kaspars Absicht ist nicht, irgendeiner Berufgruppe ans Zeug zu flicken, sondern hält es für äußerst wichtig, zu sensibilisieren und schließt das Pflegepersonal mit ein. Häufig sind Pflegende auch Anwalt der Patienten und können, sollen und müssen sich in seinem Interesse mal einmischen. Nur gemeinsam - Ärzte, Pflegende, Seelsorge, Patient und Angehörige - kann das Ziel erreicht werden und das sollte vom Patienten bestimmt werden.

Intention

Ausgehend von der Erfahrung als Pflegekraft kristallisiert sich für mich immer stärker die Bedeutung des Patientengespräches, bzw. des Gespräches mit den Angehörigen von Intensivpatienten als äußerst wichtiger Punkt neben Diagnose, Therapie und Pflege des Erkrankten heraus.
Viele Probleme im Umgang mit Patient und Angehörigen ließen sich vermeiden oder zumindest stark vermindern, wenn ein adäquates Gespräch stattfände.
Im Folgenden soll eine subjektive Analyse der bestehenden Problematik vorgenommen werden, um dann die Faktoren, die ein Patientengespräch bedingen, zu diskutieren.
Die sich anschließenden Vorschläge zur Problemlösung und zu nötigen Rahmenbedingungen bieten praktische Hinweise zur Änderung der bestehenden Situation.


Zunächst steht die Tatsache fest, dass es dem Arzt obliegt, ein adäquates Gespräch mit dem Patienten oder/und seinen Angehörigen zu führen. Ziel dieses Gespräches muss sein, den Patienten umfassend über das vorliegende Krankheitsbild zu informieren, alle diesbezüglichen Fragen auszuräumen, mögliche Therapiealternativen aufzuzeigen und dabei auch auf die Grenzen einer Behandlung, bzw. die Nachteile und Nebenwirkungen einer solchen hinzuweisen.
Initial besteht ein Ungleichgewicht der Gesprächssituation: der Arzt weiß etwas über die Gesundheit des anderen, der Patient fühlt, was es heißt krank zu sein.
Aufgabe des Arztes ist es, gemeinsam mit dem Patienten und seinen Angehörigen herauszufinden, was der Wille des Patienten ist und wie er das gewünschte Therapieziel mit Hilfe der Medizin erreichen möchte. Dabei ist klar zu differenzieren, ob es sich um eine kurative oder palliative Behandlung handelt - letztendlich, ob eine Genesung oder eher das humane Sterben des Patienten erreichbares Ziel sein können. (Abb. 1 – 3)

Kaspar Abb1

Kaspar Abb2

Kaspar Abb3
Bedingt durch die ständige Einbindung in einen fest determinierten Tagesablauf ist die häufigste Begründung für ein unzureichendes Gespräch der Mangel an Zeit.
Die Aufgabe, einem fremden Menschen häufig negative Nachrichten zu eröffnen, ist unangenehm, sowohl für den
Gesprächsführenden als auch für den Adressaten, und beim unerfahrenen Arzt auch mit Angst behaftet. Da unangenehme Dinge gerne auf ein Mindestmaß reduziert werden, ist es verständlich, dass die Zeit, die dazu aufgewendet wird, möglichst kurz sein soll. Dass man dabei aber das eigentliche Ziel des Gesprächs nicht erreichen kann, wird dabei außer Acht gelassen.
Ein subjektiv unangenehmes Erlebnis ist sicher auch, zugeben zu müssen, dass ärztliches Handeln auch Grenzen hat und nicht immer von Erfolg, sprich der Genesung des Patienten, gekrönt ist.
Der Arzt ist häufig nicht vom Nutzen eines intensiven Gespräches überzeugt: teilweise, weil er der Ansicht ist, der Patient verfügt über kein ausreichendes Wissen, um den Inhalt zu verstehen (wobei doch Ziel des Gespräches sein soll, Wissen in dieser Hinsicht erst zu vermitteln), zum anderen, weil er (der Arzt) sicher weiß, was für den Patienten sinnvoll ist und Einwände des Patienten nur den Heilerfolg und den sowieso schon viel zu engen Zeitrahmen weiter mindern würden.
Das Benutzen von Fachterminologie macht häufig ein Verstehen seiner Informationen unmöglich, desgleichen bildet das Nichteinlassenkönnen oder –wollen auf Patientenniveau eine unüberwindliche Gesprächsbarriere, sodass der Patient tatsächlich den Arzt nicht verstehen kann. Da der Arzt in der Regel allein mit dem Patienten und seinen Angehörigen redet, gibt es keine vermittelnde Person zwischen ihm und dem ihm Anvertrauten, ungeklärte Fragen tauchen erfahrungsgemäß erst einige Zeit nach dem Gespräch auf oder werden häufig nicht gestellt, weil man die kostbare ärztliche Zeit nicht länger in Anspruch nehmen möchte - oder einfach Angst hat nachzuhaken.

Die tabellarische Übersicht aus Abb. 4 zeigt, dass sich Arzt und Patient aus grundlegender Sicht, die die Gesprächsprobleme beleuchtet, ziemlich nah sind, jedoch liegen die individuellen Probleme auf unterschiedlichen Ebenen. Es sollte Aufgabe des Arztes sein, sich der Ebene des Patienten zu nähern, damit die Möglichkeit des Verstehens gegeben ist.

Kaspar Abb4

Argumente für ein ausreichendes Patientengespräch

Die ärztliche Tätigkeit stellt für den Patienten häufig einen massiven Eingriff in wichtige Bereiche seines Lebens dar, was impliziert, dass das Verhältnis zwischen Arzt, Patient und dessen Angehörigen geprägt sein sollte von Vertrauen, Offenheit und Ehrlichkeit.
Um alle Unsicherheiten zwischen Behandelndem und Behandelten auszuräumen, sind gerade der ehrliche und offene Umgang miteinander unverzichtbar.
Der alltägliche Umgang unter guten Kollegen zeigt, dass nur selten wirklich über intime Angelegenheiten des Lebens geredet wird. Es ist geradezu illusorisch, von einem fremden Menschen Offenheit in essentiellen Fragen seines Daseins zu verlangen, nur weil man von Beruf Arzt ist.
Fazit: ohne ausreichende zwischenmenschliche Vertrauensbasis, die erarbeitet werden muss, kann keine adäquate Arzt-Patient-Beziehung entstehen. Der Patient sollte dem Arzt vertrauen und dessen umfassenden und ehrlichen Rat annehmen.
Der Arzt sollte darauf vertrauen, dass der Patient als Fachmann seiner Individualität weiß, welche Ziele er erreichen möchte.
Ziel sollte sein, dass sich der Patient beim behandelnden Arzt gut aufgehoben fühlt, sich ihm anvertraut, weil er ihm vertraut und dadurch erst bereit ist, sich aktiv auf eine Therapie einzulassen und diese nicht nur über sich ergehen zu lassen.

Ergebnis des Patientengespräches sollte sein, dass sowohl Patient und Angehörige zur Zufriedenheit gelangen, was auch zur Zufriedenheit von Arzt und Pflegepersonal führt.
Würde von Beginn der Behandlung an ein Vertrauensverhältnis entstehen, so könnte der Patient auch den Arzt als Menschen und nicht nur als omnipotentes Wesen begreifen, der auch einmal einen Fehler eingestehen darf, ohne gleich mit juristischen Folgen rechnen zu müssen.
Letztendlich würden viele Gerichtsprozesse gar nicht erst entstehen und generell der Ruf eines Krankenhauses im Ansehen der Patienten steigen.


Wie lassen sich nun die oben genannten Probleme lösen? Wie erreichen Arzt, Patient und andere beteiligte Personen trotz des immer stärker limitierenden Umfeldes eines Krankenhausbetriebes das gewünschte Ziel?
Zunächst ist es wichtig, sich ausreichende Zeit für ein adäquates Gespräch zu nehmen. Der Gesprächsführer muss sich „frei“ nehmen für eine entsprechende Unterhaltung und nicht die Absicht hegen, diese beinahe im Vorbeigehen erledigen zu wollen. Ein umfassendes Gespräch wird mindestens 30 – 45 Minuten Zeit in Anspruch nehmen, deshalb ist es sinnvoll, einen Termin zu vereinbaren und diese Zeitspanne im eigenen Tagesablauf einzuplanen.
Häufig kann es hilfreich sein, eine zweite Person (Pflegepersonal, Seelsorger) als Teilnehmer einzubinden. Der Arzt sollte sich mit dieser Person auf das Gespräch vorbereiten. Dabei sollten Kompetenzen abgesprochen werden.
Auf die ausschließliche Verwendung von Fachausdrücken sollte in jedem Fall verzichtet werden.

Nur eine angemessene, möglichst gelöste Atmosphäre bietet dabei eine gute Voraussetzung. Der Flur des Krankenhauses oder das Patientenzimmer unter den Augen und Ohren der Mitpatienten sind nicht sehr zweckdienlich. Ideal wäre sicher ein separater, freundlich eingerichteter Besprechungsraum. (Abb.5)
Das aufklärende Gespräch sollte sich in folgende Teile gliedern:
- Klärung, wie viel Information möchte der Patient, wie viel kann er vertragen, dabei sind Kenntnisse in der klientenzentrierten Gesprächsführung von Vorteil, nonverbale und indirekte Äußerungen des Patienten oder seiner Angehörigen sind zu berücksichtigen.
- Klärung der Erwartungen des Patienten, je nach Erkrankung sicher auch Abklärung bisheriger Erfahrungen mit Krankheit und Tod, persönlicher Einstellung zu Leben und Sterben.
- Eigentliche Aufklärung über die bestehende Erkrankung, Offenlegung aller Perspektiven, Heilungs- und Therapiemöglichleiten
- Gespräch über entstandene Ängste und Bedenken, dabei ist es wichtig, herauszufinden, welcher Natur diese Ängste sind: Angst vor der Gegenwart, vor Schmerzen, Therapie u.ä. oder Angst vor der Zukunft, vor Sterben, Tod oder um die nächsten Angehörigen.
- Abschließende gemeinsame Beurteilung der Situation mit der gemeinsamen Planung der kommenden Behandlung.
- Evtl. Anbieten konkreter Hilfestellung oder Spenden von Trost, hier ist die Höchstleistung des behandelnden Arztes gefordert (das sollte von ihm auch als Spitze seiner ärztlichen Kunst gesehen werden und nicht als das Erreichen des Endes ärztlicher Möglichkeiten!)
(s. sieben Stufen des Patientengesprächs)

  Kaspar Abb6
Der behandelnde Arzt sollte offen und ehrlich sein und auch auf Grenzen der Behandlung hinweisen. Er muss sich davon überzeugen, dass der Patient und seine Angehörigen verstanden haben, in welcher Situation sie sich befinden. Andererseits sollte auch der Arzt verstanden haben, in welcher Lage der Patient sich befindet und dieses in seine Therapievorschläge einbeziehen.
Nur wenn alle Fakten offen dargelegt sind, sind die Voraussetzungen gegeben, im Sinne des Patienten und so mit ihm zu handeln. Sicher muss nicht immer alles was wahr ist gesagt werden, jedoch muss unbedingt alles was gesagt wird wahr sein.
Generell sollte gelten, dass nach Möglichkeit immer derselbe Arzt das Gespräch mit einem Patienten führt, nicht zuletzt, weil in einem Folgegespräch an das bereits Besprochene angeknüpft werden kann. In schwierigen Situationen (unheilbare Erkrankung, drohender Tod) sollte das der zuständige Oberarzt sein.
Das Pflegepersonal ist von dem Ergebnis des Gespräches zu informieren. Ideal ist eine entsprechende Dokumentation.

Schlussfolgerung (-forderung)

Es ist wünschenswert, dass sich Arzt, Pflegepersonal und Seelsorger im Vorfeld in Form eines Seminares zum Thema Krankheit, Leiden, Sterben, Tod auf die Situation mit dem Patienten vorbereiten, wozu auch gehört, sich mit seiner persönlichen Einstellung zu diesen Themen auseinander zu setzen.

Kaspar Abb7

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